LOS! LASSEN! Und was haben der Hummer und Schmetterling gemeinsam?

LOS! LASSEN! Und was haben der Hummer und der Schmetterling gemeinsam?
Schau nach vorne! Du musst loslassen! Kennst Du diese Ratschläge? Stellt sich nur die Frage, was ist dieses Loslassen und wie soll es funktionieren? Loslassen fällt oft schwer, egal ob es sich um eine negative Erfahrung mit einem Menschen, einem Trauma oder einer Kränkung handelt.
Ich möchte Dich heute mitnehmen auf eine sehr persönliche Reise der letzten 20 Monate. In dieser Zeit gab es in meinem Leben Einiges los zu lassen: einen Mann, eine geliebte Wohnung, meinen bisherigen Lebensentwurf, ein paar tausend Euro und zwei kleine Menschlein, deren Herzen in meinem Körper begonnen haben zu schlagen. Dieses allseits hochgelobte und beschriebene Loslassen ist gar nicht so einfach.
Meine wichtigste Erkenntnis: Loslassen ist nicht nur ein Ziel. Loslassen ist ein Weg mit unterschiedlichen Phasen. Und jede einzelne Phase muss durchlebt werden. Die wenigsten Menschen schaffen es, einen schmerzlichen Verlust von einer auf die nächste Sekunde anzunehmen und los zu lassen.
Welche Phasen sind zu durchleben, wenn eine negative Erfahrung wie eine Trennung, ein Verlust oder ein Abschied zu verarbeiten ist:
· PHASE 1: was passiert ist, wird geleugnet, es wird vermieden, man will es nicht wahrhaben
· PHASE 2: der Selbstwert wird instabil, man ist verunsichert und hat ein anstrengendes Gefühlschaos
· PHASE 3: Resignation tritt ein, man ist erschöpft und verzweifelt – Erkenntnis: so geht es nicht weiter. Phase 1 bis 3 gehören zum Prozess der Krise.
· PHASE 4: es geht darum den Sinn (wieder) zu finden
· PHASE 5: gestalten, sich erholen
· PHASE 6: loslassen 😉
Phase 4 bis 6 gehören zum Prozess der Sinnfindung. (Quelle isb Wiesloch)
Die einzelnen Phasen habe ich in unterschiedlichster Art und Weise durchlebt. In Phase 1 in der mich mein Freund nach einer der Fehlgeburten verlassen hat und nicht in die Wohnung, die er gemeinsam mit mir unterschrieben hat, eingezogen ist, habe ich erstmal nur Angst und Schmerz empfunden. Ich wollte es nicht wahrhaben und ihn zurück. Ich habe tatsächlich gedacht, dass ich einen Menschen, der mich von einem auf den anderen Moment verlässt, obwohl er gerade eine familiäre Zukunft mit mir geplant hat, zurückhaben will. Alles, an was ich geglaubt habe, wollte ich zurückhaben. Ich habe nicht verstanden, dass ich nicht alles möglich machen kann, wenn ich nur will. In meinem bisherigen Leben hatte ich oft die Kontrolle und einen Plan. Doch plötzlich, wenn zwei kleine Seelen entscheiden, dass sie nicht geboren werden können, der Partner sich entschiedet zu gehen, die `alte` geliebte Wohnung schon vermietet ist, ist an Kontrolle und Plan nicht mehr zu denken.
Ich war unfassbar angespannt, verunsichert, habe mich immer wieder ohnmächtig und hilflos gefühlt. Ich habe Schmerz empfunden, Fassungslosigkeit, Trauer, Wut, Aggression, Leere und Verzweiflung. Habe mich verraten vom Leben gefühlt, verlassen von ihm und habe unfassbar viel geweint (ich bin mir sicher, dass ich in meinem vorherigen Leben das Element Wasser war 😉). Als noch eine weitere Hiobsbotschaft eintraf, dachte ich, es zieht mir den Boden unter den Füßen weg. Genau jetzt gab es nur zwei Möglichkeiten: liegenbleiben oder aufstehen, bevor ich zu tief falle. PHASE 3 war in vollem Gange.
In Phase 4 ging es nun darum, einen neuen Sinn für mein Leben zu finden und mein Leben neu zu gestalten. Und das mit 40 Jahren. Ich habe meditiert und meditiert, mich mit dem Thema Achtsamkeit und Buddhismus intensiv beschäftigt, mir Ruhe gegönnt, bin in die Sauna, zum Yoga, habe meine Wut und Trauer weggelaufen. In den kölner Stadtparks sind die Tränen gelaufen. Ich habe widerwillig begonnen, mich mit meiner neuen Wohnung, die sich wahnsinnig fremd angefühlt hat, anzufreunden. Aus dem geplanten Kinderzimmer wurde ein Klavierzimmer. Ich habe mich in Musik ausgedrückt, bin alleine in den Urlaub, habe tolle Menschen kennengelernt. Schreiben hat mir geholfen. Ich habe Abschiedsrituale für meine zwei kleinen Sternchen `gefeiert`, getanzt und gelernt zu visualisieren. Visualisierungen lassen sich wundervoll in Meditationen einbauen. Es gab viele, viele Höhen und Tiefen, Rückschläge, Vorankommen und Erkenntnisse. Ich habe wundervolle Menschen in meinem Leben. Meine Familie, meine Freunde und tolle Arbeitskollegen. Ich habe viel über meine Gefühle geredet. Das kann ich 😉 Ich bin ein starker Gefühls- und Sinnes-Mensch. Aber Loslassen beginnt im Kopf! Das habe ich den letzten Monaten gelernt. Gefühle und Gedanken besser zu steuern.
Angst, Stillstand und Chaos waren keine Erlebniswelten, die ich mir gewünscht habe. Allerdings waren sie der Nährboden für den neuen Zugang zu meinem inneren Reichtum, meiner neuen inneren Stärke und Gelassenheit. Ich habe eine neue Hingabe an mich und mein Leben gelernt, eine stärkere Achtsamkeit entwickelt und mehr Selbstfürsorge gelernt. Ich lebe bewusster, schmiede neue, unkonventionelle Pläne, bin (etwas) geduldiger, zuversichtlicher und vertraue mich dem Fluss des Lebens an. Auf der Suchen nach neuen Möglichkeiten, die mir guttun, bin ich immer neugieriger geworden und habe mich und mein Umfeld achtsam beobachtet. Plötzlich hat es mir Freude bereitet, meine Erfahrungen auszuwerten. Das macht lebendig und Lust darauf Neues zu lernen und herauszufinden. Suchen, neugierig sein und lebenslanges Lernen sind Haltungen, die ich niemals aufgeben möchte. Das alles erleichtert mir den Umgang mit unserer heutigen VUCA Welt, die von Unbeständigkeit (Volatility), Unsicherheit (Uncertainty), Komplexität (Complexity) und Vieldeutigkeit (Ambiguity) geprägt wird. Ich brauche plötzlich nicht immer eine Antwort auf meine Fragen. Ich kann auch mal die Frage lieben, was es allerdings meinem Umfeld etwas schwieriger mit mir macht, wenn sie eine Entscheidung von mir verlangen. Ich bin dankbarerer geworden. Sogar dankbar für den Mann, der an dieser Krise beteiligt war, damit ich diesen neuen Zugang zu mir selbst bekommen habe (das heißt nicht, dass ich es für gutheiße, was und wie er Dinge getan hat).
Mein persönliches Createsatchit, was beim Loslassen hilft:
· Bereitschaft zur Akzeptanz. Akzeptieren, dass das Leben nicht immer gerecht ist und so läuft wie wir es uns wünschen! Akzeptieren, wie Situationen sind und dass sie früher oder später einen Sinn ergeben und Früchte tragen. Akzeptieren, dass wir niemanden ändern können!
· Gefühls-Chaos und Instabilität aushalten. Nicht zu schnell handeln und aktiv werden. Transformation braucht Zeit und die Kompetenz negative Gefühle auszuhalten.
· (Selbst-)Fürsorge. Sich erstmal umsorgen in Form von Selbstfürsorge und falls möglich umsorgen lassen.
· Kraftquellen und Ressourcen finden.
Ruhe, Sicherheit, Schutz und Stille finden! Meditieren, Yin Yoga, lesen, Sauna, Visualisierungen entstehen lassen (kann man lernen), Rituale finden, Dialog mit Freunden, der Familie und wiederkehrende Abläufe schaffen.
Aktivität und Bewegung leben! Gefühle ausdrücken im kreativen Sinne wie Schreiben, tanzen, (malen war nicht meins), in Musik (aktiv oder passiv), auspowern und bewegen – jede Emotion sitzt in verschiedenen Körperregionen. Ärger, Wut und Angst zum Beispiel im Oberkörper, Trauer in den Armen und Beinen: den richtigen Sport für sich finden und ich habe das Mantra singen für mich entdeckt 😉.
· Sich Hilfe und Unterstützung holen.
· Achtsamkeit lernen und entdecken. Für mich ist Achtsamkeit bewusstes Wahrnehmen ohne jegliche Wertung im Hier und Jetzt. Atmen, meditieren, alles zulassen und sein lassen, so sein, Güte & Dankbarkeit, neue Gedankenmuster lernen. Die eigenen Erwartungen und Anhaftungen erkennen, die Leiden mit sich bringen, Wünsche anerkennen und lenken und immer wieder aufs neuen: atmen und meditieren!!
· Einen neuen Lebensrhythmus finden.
Und was haben nun der Hummer und der Schmetterling gemeinsam? Beide bieten tolle Metaphern für Transformation.
Wenn der Hummer wächst, muss er seinen Panzer abwerfen. Unter ihm entsteht kein Platz für Wachstum. Allerdings hat der Hummer ohne seinen Panzer keinen Halt und Schutz während er wächst. Das macht ihn sensibel und sehr verletzlich.
Der Schmetterling ist in der Tierwelt der Transformationskünstler schlecht hin. Er wird in einem unfassbar komplexen Prozess von einer Raupe zum Schmetterling. Mehr kreativen Wandel legt wohl keiner hin 😉
Falls Du bis Hier dabeigeblieben bist, danke ich Dir für Dein Vertrauen, Deine Muße und Geduld.
Wie hast Du Loslassen und Veränderung bisher in Deinem Leben er- und gelebt?
In Liebe und create your own shit.
Julia